Prof. Dr. Wolfgang Klosterhalfen, In der Donk 30, 40599 Düsseldorf, 21.04.2021
Die Generalstaatsanwältin in Hamm
Petra Hermes
Heßlerstraße 53
59065 Hamm
BESCHWERDE
Meine Strafanzeige gegen Herrn Dr. med. Kurt-André Lion (Kinderklinik Gelsenkirchen) und weitere Personen vom 22.12.2020, 305 Js 133/21, Staatsanwaltschaft Essen;
Ablehnung von Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft Essen
(Schreiben von Oberstaatsanwalt Kolpatzik, 08.04.2021)
Sehr geehrte Frau Hermes,
durch die Abteilung für Pädiatrische Psychosomatik der Kinderklinik Gelsenkirchen, die zur Bergmannsheil und Kinderklinik Buer GmbH gehört, sind von 2011 bis 2020 über 1000 Kinder mit Neurodermitis, Asthma oder Allergien mehr miss- als behandelt worden. Per E-Mail vom 22.12.2021 habe ich daher bei der Abteilung 35 (Überörtliche Wirtschaftskriminalität) der Staatsanwaltschaft Bochum Strafanzeige gegen Herrn Dr. med. Kurt-André Lion und weitere Personen gestellt. Es geht dabei um den Verdacht von schwerem Abrechnungsbetrug, Misshandlung von Schutzbefohlenen, Untreue und Begünstigung von Straftaten.
Meine Anzeige dürfte in Essen als Datei vorliegen. Ich habe sie außerdem heute im Internet zugänglich gemacht:
www.kinderklinik-gelsenkirchen-kritik.de/3.pdf oder .htm.
Falls Sie es wünschen, kann ich Ihnen einen Ausdruck der Anzeige nachreichen.
Laut Schreiben von Herrn Oberstaatsanwalt Wolfgang Kolpatzik vom 08.04.2021 (s. Anlage) an mich ist das Verfahren von der Staatsanwaltschaft Essen übernommen worden. (Dieses Schreiben fand ich erst am 19.04.2021 in meinem Briefkasten.) Herr Kolpatzik hat mir in diesem Schreiben mitgeteilt, die Einleitung von Ermittlungen käme nicht in Betracht, der geschilderte Sachverhalt falle unter keine strafrechtliche Vorschrift.
Ich lege gegen diesen Bescheid aus den folgenden Gründen Beschwerde ein:
1. In den Betreff-Zeilen unterstellt Herr Kolpatzik, ich hätte Herrn Dr. Lion wegen „fahrlässiger Körperverletzung“ angezeigt. Das ist nicht wahr. Ich habe Dr. Lion wegen des Verdachts des schweren Abrechnungsbetrugs und der Misshandlung von Schutzbefohlenen angezeigt.
2. Herr Kolpatzik behauptet, eine Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß
§ 225 StGB läge mangels Quälens ersichtlich nicht vor. Das ist nicht wahr.
Auf den Seiten 51 bis 62 meiner Strafanzeige habe ich ausführlich das jahrelange systematische Quälen von Patienten in der Abteilung von Dr. Lion in den folgenden Abschnitten beschrieben und belegt:
6.1 Quälen durch Unterlassen medizinisch indizierter Behandlungen
Quälen durch mangelnde Hautpflege
Quälen durch das Sich-Kratzen-Lassen der ND-Patienten
Quälen durch fehlende Allergiediagnostik
Quälen durch das Vorenthalten von Medikamenten
Quälen durch Vorenthalten verhaltenstherapeutischer Behandlungsmethoden
6.2 Quälen durch „Trennungstrainings“
6.3 Quälen durch „Schlaftrainings“
6.4 Quälen durch „Stressimpfungstrainings“
6.5 Quälen durch medizinisch nicht indizierte Ernährungsumstellungen
Der BGH hat zu § 225 StGB festgestellt (BGH 4 StR 414/18):
„Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. Es wird im Allgemeinen durch mehrere Tathandlungen bewirkt, wobei oft erst deren ständige Wiederholung den besonderen Unrechtsgehalt des Quälens verwirklicht.“ Rn. 2
Es lag bei der stark leitlinienwidrigen „Behandlung“ von Kindern mit Neurodermitis, Asthma oder Allergien in der von Dr. Lion ärztlich geleiteten Abteilung für Pädiatrische Psychosomatik Quälen im Sinne des Verursachens länger dauernden oder sich wiederholenden Leidens körperlicher oder seelischer Art vor. Dieses Leiden wurde aufgrund irriger Vorstellungen von der Entstehung und Behandlung der genannten Krankheiten absichtlich in Kauf genommen. Da das Quälen der Kinder bis zur Schließung der Abteilung im September 2020 anhielt, kann eine Verjährung ausgeschlossen werden.
3. Herr Kolpatzik schrieb mir zu meinem Verdacht des Abrechnungsbetrugs:
„Soweit Sie die Behandlungsmethoden aus fachlicher Sicht als unvertretbar rügen, steht dem entgegen, dass die zahlrechen mit eben diesem Behandlungskonzept in der Vergangenheit befasst gewesenen Fachbehörden und Krankenversicherungen Ihre Bedenken nicht teilen. Daher besteht auch ein Anfangsverdacht wegen Abrechnungsbetruges nicht.“
Dazu erkläre ich:
a) Ich habe die Behandlungsmethoden nicht nur als unvertretbar gerügt, sondern eindeutige Beweise dafür vorgelegt, dass die Behandlungen so stark vom Stand der Wissenschaft und den Leitlinien der Fachgesellschaften abwichen, dass sie nicht abrechnungsfähig waren. Es ist nicht Aufgabe der Krankenkassen, pseudomedizinische Scharlatanerie zu vergüten. Neuartige Methoden müssen grundsätzlich laut SGB V ihren Nutzen und ihre Notwendigkeit nachweisen. Dies war bei dem Methoden Dr. Lions ganz überwiegend nicht der Fall. Auf unsinnige Diagnosen („Neurodermitis bei Trennungsangst“, „Asthma bei Revierangst“) folgten irrsinnige und Kinder schwer schädigende „Behandlungen“.
b) Die Ansichten von Fachbehörden und Krankenkassen würden meinen Anschuldigungen entgegenstehen, wenn ich meine Vorwürfe nicht gut begründet hätte. Die Verteidigung der Gelsenkirchener Scharlatanerie durch Behörden und Krankenkassen dürfte dadurch motiviert sein, dass diese nicht einräumen mögen, dass sie schon 2005/2006 diesen gemeingefährlichen und teuren Unfug unterstützt oder zumindest geduldet haben. Es wäre die Pflicht der Staatsanwaltschaften in Bochum und Essen gewesen, meiner Strafanzeige sorgfältig nachzugehen. Offensichtlich haben sie dies aber nicht getan oder sind so stark gegen meine Kritik voreingenommen, dass sie die strafrechtliche Relevanz meiner Anzeige nicht erkennen können oder wollen.
c) Schon in den Jahren 2005 und 2006 haben sich nicht nur die Kinderklinik Gelsenkirchen, sondern auch Fachbehörden (einschließlich der Staatsanwaltschaft Essen) und Krankenkassen gegenüber der Kritik am „Gelsenkirchener Behandlungsverfahren“ völlig uneinsichtig gezeigt. Dieses Abstreiten gut belegter fachlicher Kritik hat sich bis heute fortgesetzt. Ich habe dies gerade – noch ausführlicher als in meiner Strafanzeige – hier dokumentiert:
„Der Gelsenkirchener Klinikskandal – Ein Blick hinter die Fassaden“.
www.kinderklinik-gelsenkirchen-kritik.de/4.pdf oder htm.
d) Meinen Verdacht des Abrechnungsbetrugs habe ich u.a. damit begründet, dass die Kinderklinik Gelsenkirchen 2016 bis 2020 die Öffentlichkeit dreist belogen hat, indem sie Heilungen bei Neurodermitis, Asthma und Allergien in zumindest 87% der Fälle vorgetäuscht hat.
Schwerwiegende fachliche Kritik kam in letzter Zeit auch von der Dermatologin Dr. Carla Pistorius, die der Krankenkasse BKK-VBU in Berlin in ihrem Gutachten u.a. schrieb: „Das in der Kinderklinik angebotene Behandlungskonzept entspricht nicht den Empfehlungen der aktuellen Leitlinien zur Neurodermitis. Das gilt sowohl für das Verständnis der Krankheit als auch die vorrangig psychosomatischen Therapieverfahren. … In den genannten Fachgesellschaften wird das Gelsenkirchener Konzept sehr kritisch beurteilt und eine leitliniengerechte Therapie und Diagnostik empfohlen. … Aus dermatologischer Sicht waren die medizinischen Maßnahmen bei Berücksichtigung der aktuellen wissenschaftlichen Leitlinie nicht indiziert.“
Der Dermatologe Prof. Dr. Thomas Bieber sprach im Deutschlandradio Ende 2020 sogar von Scharlatanerie und blankem Schwachsinn.
Die pauschale und fast argumentfreie Weigerung von Herrn Konpatzik, gegen Herrn Dr. Lion und weitere Personen zu ermitteln, steht in einem krassen Missverhältnis zu meinen gut belegten Hinweisen auf Straftaten. Ich bitte Sie daher, sich meine Strafanzeige anzusehen und dafür zu sorgen, dass das LG Bochum oder das LG Essen in dieser Sache in angemessener Weise tätig wird.
Mit freundlichem Gruß
(Dr. Wolfgang Klosterhalfen)